... ihr blick tauchte auf den grund meiner augen, als wolle sie dort jenseits meines gesichtes eine glaskugel befragen: "du glaubst, daß die vergangenheit wiederauferstehen kann?"
ich wußte, welche antwort sie von mir erwartete, und lachte ein bißchen verlegen: "ich bin kein orakel."
"robert muß mir erklären, was das eigentlich ist, die zeit", sagte sie in grüblerischem tone.
ehe sie zugab, daß die liebe nicht ewig sein könnte, war sie bereit, raum und zeit zu leugnen. ich fühlte angst um sie.
In ihrem Roman "Die Mandarins von Paris" gibt es eine Stelle, in der Henri, ein erfolgreicher Journalist, seine frühere Liebe Paule, von der er sich entfremdet hat, fragt:
"Was wirst du heute unternehmen?"
"Oh! Ich habe immer irgend etwas zu tun!" sagte sie munter.
"Mit anderen Worten: du tust nichts", sagte Henri.
Genau das war es, was Simone an den Klischeefrauen um sie herum nicht ausstehen konnte: sie waren ständig beschäftigt, ohne etwas zu tun. Sie wirbelten mit Staubwedeln durch die Wohnung, sie häkelten, sie stickten, sie kochten, sie führten charmante Konversation, sie repräsentierten - aber sie TATEN nichts! Es bewegte sich nichts! Alles, was sie taten, war, Äußerlichkeiten zu verändern, bzw. neu zu gruppieren. Simone wollte auf keinen Fall beschäftigt sein, sie wollte etwas TUN, sie wollte Schriftstellerin sein und am geistigen Leben teilhaben. Denn nur hierin, im geistigen Leben, liegt die Keimzelle zur Veränderung! Alles andere ist Affirmation des Bestehenden.
Frauen redeten über Frisuren, Gatten und Desserts - Simone redete über Kant, Nietzsche und Descartes. Und das war das "Emanzipatorische" an Simone de Beauvoir: sie sprengte ihr Korsett, indem sie für sich immer systematisch genau das Gegenteil davon tat, was "man" als Frau tat. Sie heiratete nicht, sie bekam keine Kinder, sie war Sartre genausowenig sexuell treu wie er ihr, sie kümmerte sich nicht um Äußerlichkeiten wie Kleidung und Frisur (fast zeitlebens hatte sie zwei Zöpfe, die sie um den Kopf legte, mit einer Art Turban verhüllte und nur am Wochenende auftrennte und durchkämmte), und um keinen Haushalt führen zu müssen, besaß sie gar nicht erst einen ...
glückliche menschen haben keine geschichte. erst in der zerrüttung, in der trauer, wenn man sich gebrochen fühlt, wenn man merkt, daß man sich selbst entgleitet, hat man das bedürfnis, von sich zu erzählen. ... man lebt nur ein leben, aber durch intensives mit-erleben, nach-erleben gelingt es einem manchmal, in die haut eines anderen zu schlüpfen. ... ich fühle mich mit allen frauen verbunden, die ihr leben auf sich nehmen und dafür kämpfen, daß es glücklich wird; aber das hindert mich nicht daran, mich besonders für jene zu interessieren, die dabei mehr oder weniger gescheitert sind, und darüber hinaus für alle niederlagen, die es in jedem leben gibt.
so titelt die tageszeitung anläßlich des 50. todestages des psychoanalytikers wilhelm reich. angesichts s(tr)olchartiger titel, und bevor diejenigen, deren interesse an der persönlichkeit reichs dieser tage erwacht, im überfickungsejakulat mehr, aber oft leider weniger sachkundigen fülligkeit herausgeschleuderter informationen ertrinken, ist die rückkehr an den busen der nährenden alma mater ein sinnvolles anliegen:
zweifellos ist es bequemer,
in blinder unterwerfung zu leben,
als an seiner befreiung zu arbeiten:
auch die toten
sind der erde besser angepaßt
als die lebenden.