Ein Brief Ulrike Meinhofs aus dem Toten Trakt
das Gefühl, es explodiert einem der Kopf (das Gefühl, die Schädeldecke müßte eigentlich zerreißen, abplatzen) -
das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepreßt,
das Gefühl, das Gehirn schrumpelte einem allmählich zusammen, wie Backobst z.B.
das Gefühl, man stünde ununterbrochen, unmerklich, unter Strom, man würde ferngesteuert -
das Gefühl, die Assoziationen würden einem weggehackt -
das Gefühl, man pißte sich die Seele aus dem Leib, als wenn man das Wasser nicht halten kann -
das Gefühl, die Zelle fährt. Man wacht auf, macht die Augen auf: die Zelle fährt; nachmittags, wenn die Sonne reinscheint, bleibt sie plötzlich stehen. Man kann das Gefühl des Fahrens nicht absetzen. Man kann nicht klären, ob man vor Fieber oder vor Kälte zittert - man kann nicht klären, warum man zittert - man friert.
Um in normaler Lautstärke zu sprechen, Anstrengungen, wie für lautes Sprechen, fast Brüllen -
das Gefühl, man verstummt -
man kann die Bedeutung von Worten nicht mehr identifizieren, nur noch raten -
der Gebrauch von Zisch-Lauten - s, ß, tz, z, sch - ist absolut unerträglich -
Wärter, Besuch, Hof erscheint einem wie aus Zelluloid -
Kopfschmerzen -
flashs -
Satzbau, Grammatik, Syntax - nicht mehr zu kontrollieren. Beim Schreiben: zwei Zeilen - man kann am Ende der zweiten Zeile den Anfang der ersten nicht behalten -
Das Gefühl, innerlich auszubrennen -
das Gefühl, wenn man sagen würde, was los ist, wenn man das rauslassen würde, das wäre, wie dem anderen kochendes Wasser ins Gesicht zischen, wie z.B. kochendes Tankwasser, das den lebenslänglich verbrüht, entstellt -
Rasende Aggressivität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das Schlimmste. Klares Bewußtsein, daß man keine Überlebenschance hat; völliges Scheitern, das zu vermitteln; Besuche hinterlassen nichts. Eine halbe Stunde danach kann man nur noch mechanisch rekonstruieren, ob der Besuch heute oder vorige Woche war -
Einmal in der Woche baden dagegen bedeutet: einen Moment auftauen, erholen - hält auch für paar Stunden an -
Das Gefühl, Zeit und Raum sind ineinander verschachtelt -
das Gefühl, sich in einem Verzerrspiegelraum zu befinden -
torkeln -
Hinterher: fürchterliche Euphorie, daß man was hört - über den akustischen Tag-Nacht-Unterschied -
Das Gefühl, daß jetzt die Zeit abfließt, das Gehirn sich wieder ausdehnt, das Rückenmark wieder runtersackt - über Wochen.
Das Gefühl, es sei einem die Haut abgezogen worden.
>>> quelle: no. 8
weiterführende literatur:
jutta ditfurth, ulrike meinhof. die biographie
(erscheint im frühjahr 2006 im econ verlag.)
Es geschah vor 30 Jahren: Der Anschlag der RAF (Rote Armee Fraktion) auf die deutsche Botschaft in Stockholm am 24. April 1975. Fünf Terroristen besetzten das Botschaftsgebäude, um die Freilassung von 26 Häftlingen der sogenannten Baader-Meinhof-Gruppe zu erwirken. Damals beherrschten Entführungen, Anschläge, Morde, Verhaftungen und Verurteilungen das politische Klima der Bundesrepublik. Nach Jahren der Hysterie auf beiden Seiten gab die RAF erst am 20. April 1998 ihre Auflösung bekannt.
Nur ein Jahr nach dem Anschlag in Stockholm wird die RAF-Mitbegründerin Ulrike Meinhof erhängt in ihrer Zelle aufgefunden. Wie wurde aus der angesehenen Journalistin die Mitbegründerin der RAF? Warum kehrte sie dem bürgerlichen Leben den Rücken und ließ sich von palästinensischen Guerilla-Kämpfern ausbilden?
Die in Frankfurt a. M. lebende Publizistin, politische Aktivistin und Autorin >>> Jutta Ditfurth hat bisher unbekanntes Quellenmaterial zu Ulrike Meinhof aufgetan und zeigt in ihrem Buch Ulrike Meinhof. Die Biografie (Econ Verlag, 2005) völlig neue Zusammenhänge in der Lebensgeschichte dieser hochintelligenten, sehr moralischen und auf ihre Weise konsequenten Frau auf.
Björn Sandmark, Autor und Kritiker, wird mit Jutta Ditfurth über diese widersprüchliche deutsche Persönlichkeit und die damaligen politischen Umstände reden.
quelle: >>> archiv des goethe-instituts in stockholm
das Gefühl, es würde einem das Rückenmark ins Gehirn gepreßt,
das Gefühl, das Gehirn schrumpelte einem allmählich zusammen, wie Backobst z.B.
das Gefühl, man stünde ununterbrochen, unmerklich, unter Strom, man würde ferngesteuert -
das Gefühl, die Assoziationen würden einem weggehackt -
das Gefühl, man pißte sich die Seele aus dem Leib, als wenn man das Wasser nicht halten kann -
das Gefühl, die Zelle fährt. Man wacht auf, macht die Augen auf: die Zelle fährt; nachmittags, wenn die Sonne reinscheint, bleibt sie plötzlich stehen. Man kann das Gefühl des Fahrens nicht absetzen. Man kann nicht klären, ob man vor Fieber oder vor Kälte zittert - man kann nicht klären, warum man zittert - man friert.
Um in normaler Lautstärke zu sprechen, Anstrengungen, wie für lautes Sprechen, fast Brüllen -
das Gefühl, man verstummt -
man kann die Bedeutung von Worten nicht mehr identifizieren, nur noch raten -
der Gebrauch von Zisch-Lauten - s, ß, tz, z, sch - ist absolut unerträglich -
Wärter, Besuch, Hof erscheint einem wie aus Zelluloid -
Kopfschmerzen -
flashs -
Satzbau, Grammatik, Syntax - nicht mehr zu kontrollieren. Beim Schreiben: zwei Zeilen - man kann am Ende der zweiten Zeile den Anfang der ersten nicht behalten -
Das Gefühl, innerlich auszubrennen -
das Gefühl, wenn man sagen würde, was los ist, wenn man das rauslassen würde, das wäre, wie dem anderen kochendes Wasser ins Gesicht zischen, wie z.B. kochendes Tankwasser, das den lebenslänglich verbrüht, entstellt -
Rasende Aggressivität, für die es kein Ventil gibt. Das ist das Schlimmste. Klares Bewußtsein, daß man keine Überlebenschance hat; völliges Scheitern, das zu vermitteln; Besuche hinterlassen nichts. Eine halbe Stunde danach kann man nur noch mechanisch rekonstruieren, ob der Besuch heute oder vorige Woche war -
Einmal in der Woche baden dagegen bedeutet: einen Moment auftauen, erholen - hält auch für paar Stunden an -
Das Gefühl, Zeit und Raum sind ineinander verschachtelt -
das Gefühl, sich in einem Verzerrspiegelraum zu befinden -
torkeln -
Hinterher: fürchterliche Euphorie, daß man was hört - über den akustischen Tag-Nacht-Unterschied -
Das Gefühl, daß jetzt die Zeit abfließt, das Gehirn sich wieder ausdehnt, das Rückenmark wieder runtersackt - über Wochen.
Das Gefühl, es sei einem die Haut abgezogen worden.
>>> quelle: no. 8
weiterführende literatur:
jutta ditfurth, ulrike meinhof. die biographie
(erscheint im frühjahr 2006 im econ verlag.)
Es geschah vor 30 Jahren: Der Anschlag der RAF (Rote Armee Fraktion) auf die deutsche Botschaft in Stockholm am 24. April 1975. Fünf Terroristen besetzten das Botschaftsgebäude, um die Freilassung von 26 Häftlingen der sogenannten Baader-Meinhof-Gruppe zu erwirken. Damals beherrschten Entführungen, Anschläge, Morde, Verhaftungen und Verurteilungen das politische Klima der Bundesrepublik. Nach Jahren der Hysterie auf beiden Seiten gab die RAF erst am 20. April 1998 ihre Auflösung bekannt.
Nur ein Jahr nach dem Anschlag in Stockholm wird die RAF-Mitbegründerin Ulrike Meinhof erhängt in ihrer Zelle aufgefunden. Wie wurde aus der angesehenen Journalistin die Mitbegründerin der RAF? Warum kehrte sie dem bürgerlichen Leben den Rücken und ließ sich von palästinensischen Guerilla-Kämpfern ausbilden?
Die in Frankfurt a. M. lebende Publizistin, politische Aktivistin und Autorin >>> Jutta Ditfurth hat bisher unbekanntes Quellenmaterial zu Ulrike Meinhof aufgetan und zeigt in ihrem Buch Ulrike Meinhof. Die Biografie (Econ Verlag, 2005) völlig neue Zusammenhänge in der Lebensgeschichte dieser hochintelligenten, sehr moralischen und auf ihre Weise konsequenten Frau auf.
Björn Sandmark, Autor und Kritiker, wird mit Jutta Ditfurth über diese widersprüchliche deutsche Persönlichkeit und die damaligen politischen Umstände reden.
quelle: >>> archiv des goethe-instituts in stockholm
Bell On A Rip - 2005/01/26 15:20
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